Ein wunderbares Ritual: Stefan Schaubs nachaschermittwochliche Musikvorträge
Erleuchtendes zu Beethovens Neunter

Badische Zeitung vom Donnerstag, 13. März 2003

OFFENBURG. Jahr für Jahr erwarten immer mehr Ortenauer Klassik-Fans den Aschermittwoch. Nicht, weil sie die Fasnacht nicht mögen, sondern weil auf den Aschermittwoch stets ein Montag folgt - und an dem organisiert die Volkshochschule Offenburg seit mittlerweile 20 Jahren einen Vortrag mit dem Musikwissenschaftler und Psychologen Stefan Schaub über klassische Musik. Dieser fand heuer zum ersten Mal im "Salmen" statt. Vor vollbesetztem Haus! Dreihundertfünfzig Zuhörer bei einem Vortrag über Beethovens Neunte.

Andererseits: Wer einen dieser Abende einmal erlebt hat, will wiederkommen. Stefan Schaub, als gebürtiger Renchtäler ein heimisches Gewächs, bringt das nämlich mit soviel Pfiff, dass auch schon die geringste Dosis süchtig macht. "Beethoven und die Revolution", so lautete das Thema für Schaubs Salmen-Premiere.

Dass der am Wiener Donaustrand lebende Rheinländer aus Bonn den Wahlpariser Luigi Cherubini bewunderte, ihn gern als "größten lebenden Komponisten" bezeichnete, ist bekannt. Dieses übergroße Beethoven-Lob hatte seinen Grund mehr in Cherubinis Tätigkeit für die Revolution, er war sozusagen der "Hofkomponist" der Jakobiner. Schaub belegte mit Hörbeispielen, dass Beethoven sich kräftig bei Cherubini und seinen Pariser Kollegen (Mégul, Gossec) bediente, im Trauermarsch in der Eroica, im berühmten "Pa-pa-pa-paaah"-Thema der Fünften (bis etwa 1850 hieß diese Symphonie "die Französische"). Zitate finden sich auch in der Sechsten, Siebten und Neunten, im "Fidelio", dessen Handlung vom unschuldig im Kerker der Tyrannei Schmachtenden ganz jener Schablone entspricht, nach der in Paris Dutzende von "Revolutionsopern" geschaffen wurden und anderen Werken.

Interessant der Schwenk über die Rezeptionsgeschichte: Dass der "deutscheste aller Klassiker" etliche seiner Werkideen und vor allem Werkabsichten aus der französischen Revolution bezog, wurde im restaurativen Deutschland stramm unterdrückt. Schaub nimmt die Neunte - uraufgeführt mitten in der Metternich-Zeit - als Beleg dafür, dass Beethoven an seinen in der Jugendzeit im freisinnigen Bonn entzündeten Idealen festhielt, und er seziert das Finale einerseits kompositionstechnisch und zugleich auf seinen "politischen Gehalt" - den er nicht durch den Schiller-Text, sondern auch durch den Gegensatz von komponiertem Chaos und komponiertem Triumph der lichthaften Menschheitsverbrüderung gegeben sieht: "Seid umschlungen, Millionen. . . "

Und es ist wie stets bei Schaub: man kriegt Lust, zu hören! Und nichts anderes will er, nämlich sein Publikum zum "Aktiv-Hören" verleiten. Staunenswert sein Kenntnisreichtum. Aber wahrhaftig mitreißend ist Schaub durch seine Fähigkeit, zu begeistern, und durch seinen trockenen Humor.

Robert Ullmann