In einem packenden Vortrag erklärte Stefan Schaub, warum die Musikgeschichte ohne den Österreicher anders verlaufen wäre

"Badische Zeitung" vom 5.3.2000
Robert Ullmann

OFFENBURG. "Würde Mozart fehlen, niemand hätte es gemerkt. Ohne Haydn aber wäre die Musikgeschichte anders gelaufen." Derartige Sätze provozieren, auch wenn Stefan Schaub im Nachsatz sogleich klarmacht, dass er der Letzte sei, der die Genialität Mozarts bezweifle oder die Schönheit seiner Werke nicht schätze. Aber: "Rossini hätte auch ohne Mozart nicht anders komponiert. Beethovens Sinfonien sind ohne Haydn nicht möglich." Was auch auf die drei letzten Mozart'schen Sinfonien zutrifft - die allerdings wiederum Haydns letzte sinfonische Arbeiten (die zwölf Londoner) beflügelten.

Schaub ist so etwas wie eine feste Größe im Programm der Offenburger Volkshochschule, sein Besuch am "Montag nach Aschermittwoch" eine ständige Einrichtung. "Der 'unerhörte' Haydn", so der Titel des Vortrags in diesem Jahr, fand aufgrund der großen Nachfrage im Spitalspeicher statt - der fast bis zum letzten Platz gefüllt war. Nicht unbedingt eine Überraschung, denn wer Schaub einmal gehört hat, wird süchtig nach mehr. Das liegt daran, dass Schaub nicht allein musikalisches Verständnis und musikhistorisches Wissen vermittelt, das können andere auch. Schaub zeigt etwas, was nicht in Haydn oder Mozart (oder über wen immer er vorträgt) steckt, was ganz "Schaub" ist, nämlich seine Art, Musik zu hören.

Spezialität: Einfühlsamkeit
Ohne abgehobenes Darüberstehen, ohne sphärische Abgeklärtheit. Schaub, der nach eigener Aussage sechs bis zehn Stunden Musik täglich hört, lässt sich packen. Und er hat - Pädagoge, Psychologe und Musikwissenschaftler - die bemerkenswerte Fähigkeit der Einfühlsamkeit in die Eigenart und spezielle Schönheit einer bestimmten Musik. Trotz, wegen und mit "Science". Und er bringt genau das in seinem Vortrag über Haydn ans Publikum. Er "öffnet" sein Publikum, entlässt es am Ende nach Hause mit genau jener Offenheit, mit jener Bereitschaft (und Neugler), das "Unerhörte" zu hören.

Haydn (1732-1809) also. Der Abend begann mit drei Minuten aus der 39. (g-Moll) von 1766, eine von vielen aus der Masse von 104 Haydn-Sinfonien, die man ja nun bei weitem nicht so auseinanderhält (und kennt), wie die neun von Beethoven. Und doch war sofort klar: Da steckt Power drin. Überhaupt widersprach Schaub in allen seinen Beispielen dem gemütlichen Bild vom "Papa Haydn", stellte heraus, wo (und wie) Neues, Revolutionäres komponiert wurde, zeigte anhand von Beispielen aus der Schaffensphase von 1766 bis 1773, der "Sturm-und-Drang-Zeit", wie Haydn mit der neuen, von der "Mannheimer Schule" (Stamitz) und den Bach-Söhnen Carl Philip Emmanuel und Johann Christian entworfenen, aber nicht vollendeten Form "Sinfonie" experimentierte - und sie schließlich künstlerisch definierte. (Schaub: "Das Wort 'Sinfonie' konnten Sie damals nicht im Lexikon nachschlagen.")

Ein mehrfacher Glücksfall: In einer Zeit, in der ein Konzertwesen, wie wir es heute kennen, nicht existierte, Komponisten sich den Wünschen ihres adligen Herrn, für den sie ausführten, zu unterwerfen und ihre eigenen Vorstellungen hintanzustellen hatten, hat Haydn durch seinen Brotgeber Nikolaus Esterhazy freie Hand - und ein Orchester, um zu experimentieren, die neuen (und für damalige Ohren unerhörten) Stilmittel zu entwickeln. Zur Geburtsstunde der "Wiener Klassik" 1781 (der Ankunft Mozarts in Wien), hat Haydn den kompositionstechnischen Standard so weit ins Neuland vorgeschoben, dass Mozart seinem Vater schreibt, er müsse all seine bisherigen Werke wegwerfen - und sich daranmacht, die neuen Erkenntnisse für sich zu adaptieren. In Paris und London, wo sich allmählich eine (bürgerliche) Konzertkultur herausbildet, sind die "Sinfoniae germanicae", wie die neue Musikform dort heißt, der Renner.

Unerhört da ungehört.
Schaub hat keine Probleme deutlich zu machen, wie viel Aufregendes in der gegenüber Mozart und Beethoven doch recht verkannten (unerhörten weil ungehörten) Musik Haydns steckt: so das unglaublich "modern" anmutende Klaviertrio Nr. 28. Ein gebannt lauschendes Publikum, viel Beifall am Schluss und die Einladung von VHS-Leiter Peter Schupp, sich im nächsten Jahr an gleicher Stelle wieder zu sehen (mit Wagners "Meistersingern"). Man sollte sich den Termin merken: Am Montag nach Aschermittwoch 2001.