Musik-Seminare mit ungeahnten Aha-Erlebnissen
"Business in Baden", Ausgabe 11/2005
Die einen zieht es wegen des Europa-Parks in die Ortenau, andere wegen des Schwarzwalds. Teilnehmer der Seminare von Stefan Schaub lockt etwas anderes: Musik bewusst zu hören.
Seit 1983 bietet der Appenweierer Musikwissenschaftler Stefan Schaub „Seminare für klassische Musik“ an. Zu Beginn waren es gerade gut 20 Veranstaltungen im Jahr, heute ist der promovierte Musikpädagoge und Diplompsychologe mit 55 Seminaren komplett ausgelastet. Eine Warteliste gibt es dennoch.
Fallen anderswo Angebote zu musikwissenschaftlichen Themen oft mangels Interesse aus, klingelt im Büro von Stefan Schaub nach Erscheinen seines Jahresprogramms unentwegt das Telefon. Nach drei Wochen sind die Seminare, die überwiegend in Hotels in Oberkirch und Durbach stattfinden, so gut wie ausgebucht. Inhaltlich geht es beispielsweise um die letzten Sinfonien von Mozart, die Streichquartette von Franz Schubert. Oder das Thema lautet: Berlioz entdecken!
„Ich habe mich immer gefragt, warum die einen Zuhörer mit leuchtenden Augen im Konzert sitzen, während andere gelangweilt auf die Uhr schauen.“ Aus solchen Überlegungen spricht der Psychologe in Stefan Schaub: „Musik genießen hat etwas mit der Art und Weise zu tun, wie sie verarbeitet wird.“ Deswegen will der 53-Jährige vor allem eines: den Zuhörern die Ohren öffnen, sie Musikgeschichte beim Hören erleben lassen. Und dann tritt der Pädagoge auf den Plan.
Seinen Seminarstil bezeichnet er als altmodisch: Der Referent sitzt vorne, auf dem Tisch nichts als das knappe Handout, neben sich die Stereoanlage, den Ein-Ausschalter in Griffweite. Doch da thront kein Maestro der Noten, der sein Wissen huldvoll auf seine Zuhörer herabtropfen lässt. Unspektakulärer und unprätentiöser als Schaub sich gibt, geht es kaum: Eine kurze Hinführung zum Thema muss genügen, dann ist die Musik selbst dran. Passage für Passage analysiert der Musikpädagoge beim Hören die Stücke, weist mit dezenten Handbewegungen auf entscheidende Einsätze, Themenführung, Wendepunkte der Komposition hin, erklärt vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund das Revolutionäre eines Werkes. Plötzlich bekommen vertraute Stücke einen anderen Klang. Es sind die ungeahnten Aha-Erlebnisse, die den Reiz dieser Seminare ausmachen. Schaub hat richtige Fans: Ein Viertel des Teilnehmerkreises belegen 75 Prozent der Seminare. Manche Stammgäste kennen sogar 50 aus seinem 300 Themen umfassenden Repertoire.
Begriffe wie Vergnügen, genießen und erleben gehören zum ständigen Vokabular, wenn Schaub über Musik spricht. Er selbst lässt sich beim Hören immer wieder mitreißen. Nicht umsonst wird nach jedem Seminar spekuliert, ob das diesmal nicht doch sein Lieblingskomponist war. Diese Mischung aus Sachkenntnis und eigener Begeisterung ist wohl nur schwer zu kopieren: Vielleicht ist das ein Grund, warum Nachahmer, die es durchaus gegeben hat, bisher alle gescheitert sind. „Viele unterschätzen, was für ein langer Atem nötig ist“, urteilt Schaub. Fünf Jahre dauerte es, bis seine Seminare zum Selbstläufer wurden. Um die Mund-zu-Mund-Propaganda in Gang zu setzen, schaltete der Existenzgründer bundesweite Anzeigenkampagnen.
Die meisten Teilnehmer kommen übrigens von außerhalb, nur fünf Prozent stammen aus der Region: Denn Schaub wirbt auch mit der Landschaft und der Nähe zum Elsass: Meist finden seine Referate morgens und abends statt, der Nachmittag ist frei. So werden die Seminare zu einer Form von Kultururlaub. Der Ortenau dürfte Schaub damit in all den Jahren an die 50.000 Übernachtungen beschert haben.
Renate Reckziegel