"Berliner Zeitung" vom 19./20.1.2008
In diese Gegend fährt man zum Wandern und Weintrinken. Das Ortsschild nennt Durbach in der Ortenau. Der Schwarzwald und die französische Grenze sind nicht weit entfernt. Wegweiser zeigen hier vor allem zwei Dinge: Wanderpfade oder das nächste Weingut.
Im Hotel Rebstock veranstaltet Dr. Stefan Schaub seine Seminare schon seit vielen Jahren. Das Jahresprogramm verheißt "Faszination Rossini", "Die Sinfonien von Mozart" oder "Einen Weg zu Mahler." Bei dem Seminar an diesem Wochenende aber geht es um "Freude an klassischer Musik". Es ist das Einsteigerseminar. "Spezialkenntnisse werden nicht vorausgesetzt!", heißt es in der Seminar-Ankündigung.
Das ist eine beruhigende Nachricht für den typischen Interessenten, denn schließlich hat nicht jeder früher im Kinderchor die Matthäus-Passion gesungen oder am Klavier geübt. Der typische Einsteiger geht zwar gern in Konzerte, kauft sich auch die eine oder andere Klassik-CD - und stellt aber bedauernd fest, dass er leider nicht viel Ahnung von dieser Musik hat. Die Teilnahme an diesem Seminar ist der Versuch, das vielleicht noch zu ändern.
Diesen Versuch wagen die rund zwei Dutzend Leute, die sich in dem kleinen Saal des Hotels Rebstock eingefunden haben. Fast allen Gesichtern ist die Neugier, aber auch Skepsis anzusehen: Es sind Mütter mit ihren Teenager-Töchtern und Ehepaare; es sind Alte wie Junge; mehr Frauen als Männer. Im Raum weist nur die Anordnung der Tische auf eine Seminarveranstaltung hin. Ansonsten gibt es noch eine Musikanlage, zwei futuristische Boxen daneben.
Zuerst spricht Stefan Schaub über die Entstehung der Musik und die Erfindung der Noten, "um das flüchtigste, was es gibt zu notieren: den Schall." Er erzählt, dass man den Barock in den deutschen, italienischen und französischen Stilbereich einteilt und bringt Beispiele zu Gehör. Bach und seinem Choral "Ehre sei Dir Gott" aus dem Weihnachtsoratorium ist dann das erste Aha-Erlebnis zu verdanken: Der Musikpädagoge erklärt, dass in der Barockmusik der Generalbass die Kompositionen dominiert, das Werk strukturiert und immer in der Tiefe marschiert, was man mit den so verpassten "Generalbass-Ohren" dann auch tatsächlich erkennt.
Stefan Schaub lässt mit dem CD-Player aber nicht nur Bässe marschieren, Pauken und Trompeten erschallen, Celli und Geigen ertönen. Der Musikwissenschaftler spricht auch über die Zeiten und Zeitumstände, zu denen eine jede Musik entstand. Seine Freude an der Musik ist so ansteckend wie das eigene Staunen groß, dass man tatsächlich mehr hören kann, wenn man mehr weiß. Zum Beispiel die Oboe im Klavierkonzert Nr. 20 von Mozart. Niemals hätte man sie in diesen Ton-Kaskaden vernommen. Jetzt aber tiriliert sie da oben und folgt Schaubs Hand - oder vielmehr umgekehrt. So heiter und fröhlich hat man noch keine Musikstunden erlebt - was nicht nur an der Musik, sondern vor allem an diesem Dozenten liegt. Keiner seiner Sätze ist einstudiert, keiner seiner Handgriffe routiniert.
Als sich der Musikwissenschaftler und Psychologe Stefan Schaub 1983 entschloss, solche Musikseminare zu veranstalten, war das nicht nur die Flucht vor einer Universitätskarriere oder Praxis-Eröffnung, was ihm beides wenig verlockend erschien. Es war auch ein ziemliches Wagnis, etwas Vergleichbares gab es damals nicht. Aber aus anfangs drei, bis vier Seminaren pro Jahr sind mittlerweile über 50 solcher Veranstaltungen geworden, zu denen in der Regel 20 bis 30 Teilnehmer kommen. Es hat sich herumgesprochen, welche Freude einen bei diesen Seminaren erwartet, und so ist das Gros der Plätze gleich nach Erscheinen des Jahreskatalogs schon vergeben.
In den Pausen und in der freien Zeit während dieses Wochenendseminars schwärmen die Teilnehmer aus. Die einen wandern zum Schloss Staufenberg, die anderen gehen zur Weinverkostung. Die Auswahl ist groß, denn die Zahl der Winzer, Weingüter und Kellereien in der Ortenau kann es mit der Häufigkeit der musikalischen Seufzer pro Quadratmeter in den Mozart-Stücken durchaus aufnehmen. So bekommt man neben dem Musikseminar letztlich auch noch die Weinlektionen dazu.
Martina Döring